Laufende Forschungsprojekte
Biographie Hermann Kunst (1907–1999)
Fast drei Jahrzehnte lang (1949–1977) sicherte Hermann Kunst als „Bevollmächtigter des Rates der EKD beim Sitz der Bundesregierung in Bonn“ den Einfluss der EKD in der bundesdeutschen Politik. Sein politischer Aktionsradius reichte von der Personalpolitik zugunsten evangelischer Persönlichkeiten im politischen Bonn über die Verteidigung kirchlicher Privilegien bis hin zur Steuerung des Häftlingsfreikaufs aus der DDR. Das sozialpolitische Wirken Kunsts umfasste sowohl den Kampf gegen die Liberalisierung des Sexualstrafrechts als auch die Unterstützung einer globalen, antikolonialen und antikapitalistischen Entwicklungspolitik. Gleichzeitig beeinflusste er als Militärbischof der EKD deren grundlegende Positionen in Fragen von Krieg und Frieden. Rückblickend fungierte dieser Kirchenfunktionär als „Parlamentär“ zwischen allen politischen Fronten. Dabei leitete ihn das Ziel, den staatlichen Zusammenhalt der Bundesrepublik zu garantieren und christlich-moralisch abzusichern.
Vor diesem Hintergrund ist es an der Zeit, Hermann Kunst eine kritische Biographie zu widmen. Sie soll den Grundmotiven seines politischen Handelns und Selbstverständnisses nachgehen, von der Zeit als nationalistisch gestimmter Kriegspfarrer im Zweiten Weltkrieg bis zu den Jahren als politischer Virtuose der EKD in der Bundesrepublik Deutschland.
Bearbeiterin: Dr. Dagmar Pöpping
Vom Gast zum Bürger. Der Beitrag des Protestantismus zu Fragen der Integration von Arbeitsmigranten in der Bundesrepublik Deutschland (1960–1989)
Mit dem Zuzug von Arbeitmigranten seit Mitte der 1950er Jahre stellten sich – nach der Aufnahme von Flüchtlingen und Vertriebenen – die Fragen nach Exklusion und Inklusion in neuer Weise. Die Studie untersucht die Positionierung der evangelischen Kirche im gesellschaftspolitischen Richtungsstreit über die bundesdeutsche Ausländerpolitik von der Anwerbephase bis zur Phase der Rückkehrförderung. Sie zeigt, wie die Kirche auf die wachsende ethnische, kulturelle und religiöse Pluralität der bundesdeutschen Gesellschaft reagierte, die auch sie selbst und ihre gesellschaftliche Rolle tangierte.
Nach Einzelinitiativen in den 1950er Jahren begann die evangelische Kirche – insbesondere in Gestalt des Diakonischen Werkes und Kirchlichen Außenamtes der EKD – seit 1960 systematisch mit der kirchlichen, sozialen und kulturellen Betreuung ausländischer Arbeitnehmer, vornehmlich für evangelische und orthodoxe Ausländer. Von Mitte des Jahrzehnts an übernahm sie gegenüber Staat und Gesellschaft auch zunehmend eine advokatorische Funktion für alle Arbeitsmigranten als einer unterprivilegierten Gruppe und forderte für sie soziale, rechtliche und politische Integrationsperspektiven ohne kulturellen Assimilierungszwang. Seit Anfang der 70er Jahre folgten der praktischen Hilfestellung auch vermehrt theologische und sozialethische Reflexionen. Zahlreiche kirchliche Erklärungen und Stellungnahmen beschäftigten sich aus evangelischer Sicht mit den Integrationsperspektiven von Zugewanderten und der Aufnahmebereitschaft der deutschen Bevölkerung, wobei sich die theologischen Vergewisserungen in diesen Fragen während des Untersuchungszeitraums veränderten. Insgesamt spiegelt sich in dem kirchlichen Engagement für Arbeitsmigranten ein Wandel im Gesellschafts- und Staatsverständnis des bundesdeutschen Protestantismus wider.
Bearbeiterin: Prof. Dr. Claudia Lepp
Publikation:
Claudia Lepp: Vom „Gastarbeiter“ zum „Mitbürger“. Der Beitrag des Protestantismus zu Fragen der Integration von Arbeitsmigranten in der Bundesrepublik Deutschland. In: Dies. (Hg.): Christliche Willkommenskultur? Die Integration von Migranten als Handlungsfeld christlicher Akteure nach 1945 (AKiZ, B 75). Göttingen 2020, S. 87–112.
Gedenkorte des evangelischen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus seit 1945 bis heute
Wie wurde und wird heute an den christlichen Widerstand zwischen 1933 und 1945 erinnert? Der Katalog versteht sich als Beitrag zur Historisierung der christlichen Gedenkkultur in Deutschland. Die systematische Sammlung von Gedenkinitiativen, die nach 1945 für den Widerstand evangelischer Christen gegen den Nationalsozialismus entstanden sind, soll Aufschlüsse über die unterschiedlichen Phasen der christlichen Erinnerungskultur sowie Aussagen über ihre Relation zur allgemeinen Rezeption des Widerstandes in Deutschland ermöglichen. Ebenso geraten die Bezüge „Bundesrepublik–DDR“, „regionale und überregionale Initiativen“ sowie „katholische und evangelische Initiativen“ in den Blick.
Vorgestellt werden Gedenkinitiativen aus dem kirchlichen und außerkirchlichen Raum zwischen 1945 und heute, sofern sie auf den christlichen Hintergrund des widerständigen Verhaltens verweisen.
Bearbeiterin: Dr. Dagmar Pöpping
Bisherigen Publikationen in der AKiZ-Reihe B:
Bd. 67
Hermle, Siegfried/Pöpping, Dagmar (Hgg.): Zwischen Verklärung und Verurteilung. Phasen der Rezeption des evangelischen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus nach 1945. Göttingen 2017.
Verantwortung für die Kirche. Stenographische Aufzeichnungen und Mitschriften von Landesbischof Hans Meiser 1933–1945
Der mehrbändigen Edition liegen handschriftliche Aufzeichnungen über Sitzungen und Besprechungen gesamtkirchlicher Vertretungs- und Leitungsgremien des deutschen Protestantismus sowie deutscher und ökumenischer lutherischer Zusammenschlüsse zugrunde, an denen Meiser kraft seines Amtes als bayerischer Landesbischof zwischen 1933 und 1955 teilgenommen hat. Bisher erschienen sind drei Bände, die den Zeitraum von Sommer 1933 bis bis zur 17. Durchführungsverordnung im Winter 1937 enthalten. Die Stelle der Bearbeiterin wird von der Ev.-Luth. Kirche in Bayern finanziert.
Bearbeiterin: Dr. Nora Andrea Schulze.
Bisherige Publikation in der AKiZ-Reihe A:
Bd. 17:
Verantwortung für die Kirche. Stenographische Aufzeichnungen und Mitschriften von Landesbischof Hans Meiser 1933–1955. Bd. 3: 1937. Göttingen 2010.
Zwischen Antiziganismus und Bürgerrechtsbewegung – Die evangelischen Kirchen in Deutschland und ihr Umgang mit Sinti und Roma im 20. Jahrhundert
Die historische Forschung hat in den letzten Jahren verstärkt auf einzelne Opfergruppen des Nationalsozialismus geblickt und gefragt, wie sich die Kirchen und die akademische Theologie im interdisziplinären Austausch mit anderen Wissenschaften gegenüber diesen Gruppen vor 1933, während der Zeit des Nationalsozialismus und nach 1945 verhalten haben. Für die letztgenannte Phase sind die Themen Entschädigung, kirchliche Reaktionen auf neue politische oder gesellschaftliche Diskriminierungen, Wandlung des kirchlich-gesellschaftlichen Bildes dieser Gruppen und kirchliches Engagement für diese innerhalb der Bürgerrechtsbewegung der Bundesrepublik Deutschland („Anwalt der Stummen“) zu nennen.
Anders als bei Juden, Kranken und Behinderten, Homosexuellen, Zwangsarbeitern oder in kirchlichen Heimen Untergebrachten ist das Verhalten des Protestantismus gegenüber Sinti und Roma als NS-Opfern noch nicht in den Blick genommen worden. Dieses Forschungsfeld bedarf dringend einer quellengestützten Aufarbeitung, frei von Verdachtshermeneutik und apologetischen Tendenzen.
Zu fragen ist primär:
- nach dem Bild der Sinti und Roma in der Theologie und in der kirchlichen Publizistik;
- nach der Stellung der Sinti und Roma innerhalb der rassen- und biopolitischen Diskurse in Theologie und Kirche. Wurden sie als eigenständige Gruppe wahrgenommen? In der Forschung wird zwischen Antisemitismus und Antiziganismus nur selten differenziert;
- seit wann, wie und aus welchen Motiven Kirche und Diakonie zu Unterstützern der Sinti und Roma wurden;
- welche Angebote Kirche und Diakonie für Sinti und Roma entwickelten;
- welches Bild die kirchliche Bildungsarbeit von Sinti und Roma zeichnet.
Das Projekt kann sich stützen auf die Aktenüberlieferung in landeskirchlichen Archiven, im Evangelischen Zentralarchiv (Berlin), im Archiv des Diakonischen Werkes (Berlin) sowie in den Innen- und Sozialministerien des Bundes und der Länder.
Bearbeiter: Dr. Karl-Heinz Fix